Machwerk R.W. Aristoquakes
Teil 10 - 214
Märchenerzähler
im Olymp
Als nächster bat Guneus um Gehör.
(Ilias 2/748;
Führer der Enianen und
Perrhäber mit 22 Schiffen)
Der Flotten-Geschwader-Kommandeur
Von zweiundzwanzig schwarzen Schiffen
Trat ans Rednerpult. Ergriffen
Las er, die Seelen waren längst ganz Ohr
Die Frosch- Zarin- Geschichte vor.
Die Frosch-Zarin
Russisches Märchen
Irgendwo
in einem Zarenreich, in einem fernen Reich, lebten einst ein Zar und eine
Zarin, und sie hatten drei Söhne, die waren wie die Falken. Sie wuchsen heran
und wurden so schmucke Burschen, dass es weder zu sagen, noch zu denken, nur im
Märchen zu erzählen ist! Und sie kamen in die Jahre, da es Zeit für sie war zu
heiraten. Der Zar hatte sich mit seiner Frau gründlich beraten, rief die Söhne
zu sich und sprach zu ihnen: »Meine Söhne, meine Falken! Ihr seid nun in die
Jahre gekommen, und es ist an der Zeit, euch Frauen zu suchen.« – »Es ist Zeit,
Väterchen«, antworteten sie, »es ist Zeit.«
»So nehmt, Kinder, eure silbernen Bogen zur Hand, legt kupferne Pfeile
auf und lasst sie fliegen in fremde, ferne Lande: und von dem Hof, in dem sie
niederfallen werden, soll jeder seine Braut holen.«
Sie traten hinaus auf den Hof, spannten die Bogen und schossen ab. Der
Älteste schoss, und der Pfeil flog schwirrend unter dem Himmel dahin und fiel
dann in einem anderen Zarenreich in den Garten des Zaren. Zu dieser Stunde
erging sich die Zarentochter im Garten, hob den Pfeil auf und freute sich an
ihm. Sie ging zu ihrem Vater und rühmte sich: »Schau, was für einen wunderhübschen
Pfeil ich gefunden hab, Väterchen!« – »Gib ihn keinem«, sagte der Zar, »außer
demjenigen, der dich zur Gattin nehmen wird.« Und richtig, nach einiger Zeit
geschah es, dass der älteste Zarensohn angeritten kam und sie um seinen Pfeil
bat. »Ich gebe keinem andern den Pfeil, nur dem, der mich zur Gattin nimmt.« –
»Ich will dich zur Gattin nehmen«, sagte der Zarensohn. Und sie versprachen
sich, und dann ritt er wieder fort.
Der zweite Bruder schoss, und der Pfeil flog tiefer als die Wolken,
aber höher als der Wald und fiel in einen Fürstenhof. Zu der Zeit saß die
Fürstentochter auf der Freitreppe, erblickte den Pfeil, hob ihn auf und brachte
ihn dem Vater: »Schau, was für einen wunderhübschen Pfeil ich gefunden hab,
Väterchen!« – »Gib ihn keinem«, sagte der Fürst, »außer demjenigen, der dich
zur Gattin nehmen wird.« Da kam auch der zweite Zarensohn an und bat um seinen
Pfeil. Die Fürstentochter gab die gleiche Antwort wie die Zarentochter. Und
jener sagte: »Ich will dich zur Gattin nehmen.« Sie versprachen sich, und er
ritt davon.
Dann kam die Reihe zu schießen an den dritten Zarensohn. Und als
Ivan-Zarevitsch, so wurde er genannt, den Pfeil abschoss, flog er nicht hoch
und nicht niedrig, doch höher als die Häuser, und fiel nicht weit und nicht nah
zu Boden: beim Dorf in den Sumpf. Auf einem Mooshügelchen aber saß ein Frosch und nahm den Pfeil an sich.
Ivan-Zarevitsch kam und bat: »Gib mir den Pfeil wieder!« – »Den Pfeil gebe ich
keinem«, sagte der Frosch, »außer demjenigen, der mich zur Gattin nimmt.«
Ivan-Zarevitsch bedachte sich: »Wie sollt ich denn diesen grünen Frosch zur
Gattin nehmen?« Er stand noch eine Weile am Sumpf herum, ward sehr betrübt und
ging dann weinend nach Hause.
Es war schon Zeit für ihn, zum Vater zu gehn und zu erzählen, welche Braut
er gefunden habe. Jene zwei, der älteste und der zweite Bruder, waren so froh,
dass es nicht zu sagen war! Ivan-Zarevitsch aber kam daher und weinte. Der
Vater sprach zu ihnen: »Nun erzählt nur, meine Söhne, meine Falken, welche
Schwiegertöchter ihr gefunden habt!« Der Älteste sagte: »Ich hab eine
Zarentochter gefunden, Vater.« Und der Zweite: »Ich – eine Fürstentochter.«
Ivan-Zarevitsch aber stand da und brachte kein Wort heraus, er weinte nur und
weinte! Der Vater fragte ihn: »Warum weinst du, Ivan-Zarevitsch?« – »Wie sollt
ich nicht weinen, meine Brüder haben Frauen, wie sie sein sollen, aber ich muss
mir einen grünen Frosch aus dem Sumpfe nehmen; passt er denn zu mir?« – »Nimm
ihn!« sagte der Zar, »da ist nichts zu machen: das ist gewiss schon so dein
Los!« Und die Zarensöhne heirateten: der Älteste nahm die Zarentochter, der
Zweite die Fürstentochter, Ivan-Zarevitsch aber den grünen Frosch aus dem
Sumpf.
Und sie heirateten und lebten so dahin. Eines Tages aber wollte der Zar
sehen, welche von den Schwiegertöchtern die schönsten Tücher weben könne. Und
er gab den Befehl: »Bis morgen in der Früh sollen Tücher gewebt und hierher
gebracht werden, damit ich sehe, welche von euch am besten gewebt hat.«
Ivan-Zarevitsch ging nach Hause, der Frosch aber kroch ihm entgegen und fragte:
»Ivan-Zarevitsch, warum weinst du?« – »Wie sollt ich nicht weinen, da es doch
so und so steht: unser Vater verlangt, dass bis morgen früh jede
Schwiegertochter ihm ein Tuch webt.« – »Weine nicht! Alles wird bereit sein;
leg dich hin und schlaf!« Er legte sich nieder und schlief ein. Doch sie warf
ihre Haut ab, ging hinaus auf den Hof, schrie und rief und pfiff, und plötzlich
erschienen ihre Mädchen, die Dienerinnen, webten Tücher, stickten gar kunstvoll
Adler hinein und gaben ihr die Tücher. Sie nahm sie entgegen, legte sie neben
Ivan-Zarevitsch hin, zog wieder ihre Haut an und ward zum Frosch, wie sie
vorher gewesen. Als Ivan-Zarevitsch erwachte, da erblickte er Tücher, wie er
sein Lebtag keine gesehen hatte! Er ward froh und brachte sie dem Zaren. Der
Vater dankte ihm vielmals für die Tücher. Und die Tücher der anderen
Schwiegertöchter gab er in die Küche, denn sie waren nur so-so, ganz einfach,
aber des Frosches Tücher hängte er am Heiligenbilde auf.
Und der Vater gab abermals einen Befehl: die Schwiegertöchter sollten
Buchweizenfladen backen und sie ihm bringen, damit er sehe, wer's am besten
verstünde. Ivan-Zarevitsch ging nach Hause und weinte wiederum. Der Frosch
kroch ihm entgegen und quakte: »Ivan-Zarevitsch, warum weinst du?« – »Wie sollt
ich nicht weinen, da der Vater befohlen hat, Buchweizenfladen zu backen, du das
aber nicht verstehst!« – »Weine nicht, wir werden damit schon zurechtkommen!
Leg dich hin und schlaf!« Er legte sich nieder und schlief ein. Die andern
Schwiegertöchter aber standen unterm Fenster, um mit anzusehen, wie sie backen
würde. Sie begann den Teig dünn einzurühren und arbeitete ihn so durch, daß er
flüssig blieb, dann kletterte sie auf den Ofen, schlug ein Loch hinein, goss
alles hinunter, und der Kuchenteig zerfloss im Nu auf den heißen Steinen. Die
Schwiegertöchter aber liefen schnell nach Hause und machten's ebenso. Und die
buken solche Buchweizenfladen zusammen, dass man sie nur den Hunden vorwerfen
konnte. Doch als sie fort waren, warf der Frosch die Haut ab, trat auf den Hof
hinaus, schrie und rief und pfiff, und gleich waren auch die Mädchen, die
Dienerinnen, da. Sie befahl ihnen, bis zum Morgengrauen die Buchweizenfladen
fertigzumachen. Gar bald brachten sie die Fladen, wie die Sonne so schön waren
sie geworden! Die Schwiegertochter nahm sie entgegen, legte sie neben
Ivan-Zarevitsch, zog dann die Haut an und ward wieder zum grünen Frosch, wie
sie vorher gewesen. Ivan-Zarevitsch erwachte und schaute – neben ihm lagen
Buchweizenfladen, einer schöner als der andere. Er freute sich sehr und brachte
sie dem Zaren. Der Vater aber war ihm sehr dankbar. Die Buchweizenfladen der
andern Schwiegertöchter ließ er den Hunden vorwerfen, aber die des Frosches
befahl er bei Tisch zu reichen.
Und wieder gab der Zar den Söhnen etwas auf: »Kommt an dem und dem Tage
mit euren Frauen zum Festmahl.« Die älteren Brüder freuten sich,
Ivan-Zarevitsch aber ging nach Hause, ließ den Kopf hängen und weinte. Der
Frosch kroch ihm entgegen und fragte: »Ivan-Zarevitsch, warum weinst du?« –
»Wie sollt ich nicht weinen«, sagte er, »da der Vater uns befohlen hat, mit
unseren Frauen zum Festmahl zu kommen. Wie soll ich aber dich hinbringen?« –
»Weine nicht«, antwortete sie, »leg dich hin und schlaf, wir fahren schon
irgendwie hin!« Er legte sich nieder und schlief ein. Und als der Tag kam, an
dem das Festmahl sein sollte, wurde Ivan-Zarevitsch wieder traurig. »Gräm dich
nicht, Ivan-Zarevitsch«, sagte der Frosch, »geh nur voran! Wenn aber der Regen
anfängt zu tröpfeln, so wisse, dass dein Weib sich mit Regentau wäscht; und
wenn ein Blitzstrahl aufzuckt, so wisse, dass dein Weib sich den Staat anzieht
für den Weg; doch wenn der Donner grollt, so kommt sie gleich.« Ivan-Zarevitsch
kleidete sich an, saß auf und ritt davon.
Und als er hinkam, waren die älteren Brüder mit ihren Frauen schon da; sie selber waren reich
gekleidet, ihre Frauen aber kamen in Gold, in Seide und mit kostbarem
Halsschmuck. Die Brüder spotteten über ihn: »Warum bist du denn allein gekommen,
Bruder? Hättest du sie doch in ein Tuch gebunden und hergebracht.« – »Spottet
nicht«, sagte er, »sie kommt schon nachher.« Als aber der Regen anfing zu
tröpfeln, sagte Ivan-Zarevitsch: »Jetzt wäscht sich mein liebes Weib mit
Regentau!« Die Brüder aber spotteten über ihn: »Bist du denn toll geworden, daß
du solchen Unsinn redest?« Und als ein Blitzstrahl aufzuckte, sagte
Ivan-Zarevitsch: »Jetzt legt mein liebes Weib den Staat an für den Weg!« Die
Brüder zuckten bloß mit den Achseln: der Bruder war doch bisher ganz
vernünftig, aber jetzt ist er von Sinnen gekommen! Doch plötzlich fing der Donner
gewaltig an zu grollen, dass der Palast erbebte; der Zarensohn aber sprach:
»Jetzt kommt mein Täubchen schon!« Und richtig, an der Freitreppe fuhr eine
Kutsche mit sechs feurigen Rossen vor, und die Schwiegertochter stieg heraus
und war so schön, dass alle ganz still und schüchtern wurden!
Dann setzten sie sich zum Mahl; und der Zar, die Zarin und die beiden
älteren Brüder konnten sich nicht satt sehen an ihr, denn wirklich: sie war so
schön, so schön, daß es nicht zu sagen war! Und nun wurde gegessen; sie steckte
aber einen Bissen in den Mund, einen in den Ärmel, einen Löffel in den Mund,
einen in den Ärmel. Die andern Schwiegertöchter achteten auf sie und machten's
ebenso: einen Löffel in den Mund, einen in den Ärmel, einen Bissen in den Mund,
einen in den Ärmel. Und als sie fertig waren, gingen sie auf den Hof; die Musik
fing an zu spielen, und der Vater bat zum Tanz. Die zwei Schwiegertöchter
wollten aber nicht und sagten: »Mag sie zuerst tanzen!« Doch als sie nun mit
Ivan-Zarevitsch anfing zu tanzen, da berührte sie kaum den Boden, so leicht und
schön tanzte sie! Und dann schwenkte sie den rechten Ärmel und warf einen
Bissen hinaus, da ward daraus ein Garten, und in dem Garten war eine Säule, auf
ihr ging ein Kater hinauf und hinab, ging er hinauf, sang er Lieder, kam er
herunter, erzählte er Märchen. Sie tanzte und tanzte, schwenkte den linken
Ärmel, und in dem Garten entstand ein Flüsschen, und in dem Flüsschen schwammen
Schwäne. Alle staunten über das Wunder wie kleine Kinder! Sie tanzte bis zum
Ende und setzte sich hin, um auszuruhen. Dann gingen auch die anderen
Schwiegertöchter zum Tanz. Und wie sie den rechten Ärmel schwenkten, flogen die
Knochen der Zarin an die Stirn, und als sie den linken Ärmel schwenkten,
spritzten sie dem Zaren die Augen voll. Da rief der Zar ihnen zu: »Genug,
genug, ihr Töchter von Hundesöhnen! Ihr schlagt mir ja die Augen aus.« Da
ließen sie's bleiben. Sie setzten sich alle auf die Sockelbank hin, die Musik
spielte, und nun tanzten die Hofbedienten.
Ivan-Zarevitsch aber schaute auf sein Weib und wunderte sich, wie aus
dem grünen Frosch ein so wunderschönes Mädchen geworden war, dass man die Augen
nicht mehr abwenden konnte! Da befahl er, ein Ross vorzuführen, und eilte nach
Hause, um nachzuschauen, von wo sie das alles her habe. Er kam an, ging in das
Zimmer, in dem sie schlief, und fand dort die Froschhaut liegen. Im Kamin war
Feuer; er warf die Haut hinein, und nichts als Rauch stieg in die Höhe. Dann
kehrte er wieder zum Zaren zurück und kam noch zurecht zum Abendschmaus. Noch
lange vergnügten sie sich dort, und erst als der Morgen graute, fuhren sie
auseinander. Auch Ivan-Zarevitsch fuhr mit seiner Frau heim. Und als sie nach
Hause kamen, ging sie in ihr Zimmer, schaute umher, aber die Froschhaut war
nicht mehr da. Sie suchte und suchte und fragte schließlich: »Ivan-Zarevitsch,
hast du nicht mein Kleid gesehen?« – »Welches denn?« – »Meine Haut«, sagte sie,
»ich hab sie hier abgeworfen.« – »Und ich hab sie verbrannt!« sagte Ivan-Zarevitsch.
»Ach, was hast du mir angetan, Ivan-Zarevitsch? Hättest du sie nicht angerührt,
wäre ich ewig die Deine geblieben, jetzt aber müssen wir uns trennen,
vielleicht für immer.« Sie weinte und weinte, mit blutigen Tränen weinte sie
und sprach sodann: »Leb wohl! Such mich im dreißigsten Zarenreich, im
dreißigsten fremden Reich bei der Baba-Jaga, dem Knochenbein.« Sie schwang ihre
Händchen in die Höh und verwandelte sich in einen Kuckuck; das Fenster war
geöffnet, und sie flog hinaus.
Lange grämte sich Ivan-Zarevitsch um sein Weib, lange weinte er
bitterlich; er fragte alle Leute, was er machen solle, aber niemand konnte ihm
raten. Da nahm er seinen silbernen Bogen, füllte einen Sack mit Brot, hängte
sich die Kürbisflasche über die Schultern und ging auf die Suche. Er wanderte
und wanderte und begegnete einem Alten; der war so weiß wie Milch und fragte
den Zarensohn: »Guten Tag, Ivan-Zarevitsch! Wohin führt dich dein Weg?« – »Ich
gehe, wohin die Augen schauen, meine Frau zu suchen: sie ist irgendwo im
dreißigsten Zarenreich, im dreißigsten fremden Reich bei der Baba-Jaga, dem
Knochenbein. So geh ich und weiß nicht wohin. Wisst Ihr nicht, Alterchen, wo
sie lebt?« – »Warum soll ich es nicht wissen? Gewiss weiß ich's.« – »Sagt es
auch mir, Alterchen, seid so gut!« – »Ach, wozu soll ich dir's sagen, mein
Sohn: es ist ja gleich, ob ich's tu oder nicht, du bringst ja doch nichts
zustande.« – »Einerlei, ob ich's vollbring oder nicht, sagt mir's nur, ich
werde mein Lebtag für Euch beten.« – »Na, wenn du's so notwendig wissen musst,
dann nimm hier das Knäuel, und roll es vor dir her, und wohin es läuft, dahin
geh ihm nach, so kommst du geradewegs zur Baba-Jaga, dem Knochenbein.«
Ivan-Zarevitsch dankte dem Alten für das
Knäuel und ließ es laufen: das Knäuel rollte dahin, und er ging ihm nach. Und
er kam in einen so dichten Wald, dass es dunkel ward ringsum. Da begegnete ihm
ein Bär. Er legte einen kupfernen Pfeil auf den silbernen Bogen und wollte
schießen. Aber der Bär sprach zu ihm: »Ivan-Zarevitsch, töte mich nicht, ich
werde dir noch von großem Nutzen sein!« Er verschonte ihn und tötete ihn nicht.
Und ebenso geschah es mit einem Falken, auch den tötete er nicht.
Und er wanderte und wanderte; das Knäuel rollte vor ihm her, und er
ging ihm nach, und so kam er schließlich an das blaue Meer. Da sah er am Ufer
auf dem Trockenen einen Hecht, den Scharfzahn, liegen, der war in der Sonne an
Todes Enden. Er wollte ihn aufheben und verspeisen, aber der Hecht bat ihn:
»Ivan-Zarevitsch, iß mich nicht, wirf mich lieber in das Meer, ich werde dir
noch von großem Nutzen sein!« Da warf er ihn ins Meer und ging weiter. Und
endlich gelangte er in das dreißigste Zarenreich, in das dreißigste fremde
Reich. Da stand ein Hüttchen auf einem Hühnerfüßchen, mit Rohrstäben gestützt,
sonst wär es zusammengefallen. Er trat in das Hüttchen, und dort lag auf dem
Ofen die Baba-Jaga, das Knochenbein. Ihre Füße hingen bis zur Ofenpritsche
hinunter, den Kopf aber hatte sie an den Rauchfang gelehnt. »Willkommen,
Ivan-Zarevitsch! Bist du mit Willen oder wider Willen hierher gekommen?« – »Mit
Willen und auch wider Willen«, sagte er. »Versteckst du dich vor jemand oder
suchst du jemand?« – »Ich verstecke mich gar nicht, Mütterchen, sondern ich
suche meine liebe Frau, den grünen Frosch.« – »Ich weiß, ich weiß!« sagte die
Baba-Jaga, »sie sucht mir die Läuse ab vom Kopf, wenn sie zu Gast kommt.« – »Wo
ist sie denn, Mütterchen, sagt mir's!« – »Sie dient bei meinem Brüderchen als
Tagelöhnerin.« Da bat er sie flehentlich, ihm zu sagen, wo ihr Bruder wohne.
Sie antwortete: »Dort im Meer ist eine Insel, auf der steht seine Hütte. Aber
sieh dich vor, dass dir kein Unglück zustößt! Sobald du deine Frau erblickst,
pack sie rasch und flieh mit ihr, aber schau dich nicht um.« Er dankte der
Baba-Jaga und wanderte von dannen.
Er ging und ging und gelangte ans Meer; er schaute und sah nur das
endlose Meer, aber wo die Insel sein mochte, das wusste Gott weiß wer. Er ging
am Meer entlang, ließ den Kopf hängen und grämte sich. Da schwamm der Hecht
empor und fragte: »Ivan-Zarevitsch, warum grämst du dich?« – »So und so
steht's«, antwortete er, »auf dem Meer ist eine Insel, und ich kann auf keine
Art hinüber.« – »Sei nicht traurig!« sagte der Hecht. Und dann schlug er mit
dem Schwanz aufs Wasser, und eine Brücke entstand, wie sie auch der Zar nicht
hatte: die Pfähle waren aus Silber, die Geländer aus Gold, der Boden aber war
mit Glas gedeckt; gingst du darauf, so war dir's wie auf einem Spiegel!
Ivan-Zarevitsch ging nun über die Brücke und gelangte auf die Insel. Dort aber
stand ein Wald, der war so dicht, dass man nicht durchgehen, noch sich
durchzwängen konnte, und dunkel war's, ganz dunkel. Ivan-Zarevitsch wanderte am
Wald entlang und weinte und weinte. Auch war ihm das Brot ausgegangen, und er
hatte nichts zu essen. Er setzte sich in den Sand, grämte sich und dachte: »Nun
bin ich verloren!« Plötzlich lief ein Hase an ihm vorbei; der Falke stieß auf
ihn herab und tötete ihn; Ivan-Zarevitsch nahm den Hasen, zog ihm das Fell ab,
rieb Feuer aus zwei Hölzern, briet den Hasen am Spieß und aß ihn auf. Und als
er satt war, fing er an zu überlegen, wie er in den Palast gelangen könnte. Und
wieder ging er am Walde entlang, doch der Wald war wirklich so dicht, dass man
nicht eindringen konnte. Plötzlich aber kam
ihm der Bär entgegen. »Willkommen, Ivan-Zarevitsch! Warum läufst du hier
herum?« – »Ich will in den Palast hinein, aber es geht nicht wegen des Waldes.«
– »Ich werde dir helfen.« Und er fing an die Eichen zu brechen und schleuderte
Stämme zur Seite, die ein Mann nicht umfassen konnte! So arbeitete er lange und
ward müde; dann ging er hin und trank Wasser und fing wieder an, die Bäume zu
brechen. Und schon hatte er einen schmalen Pfad gelichtet! Wieder ging er hin,
um Wasser zu trinken, und brach sich dann weiter durch. Er machte bis zum
Palast einen Pfad, den ging Ivan-Zarevitsch.
Und als er dahin schritt, kam er mitten im Walde in ein liebliches Tal,
und in dem Tal stand ein Palast aus Glas. Er ging in den Palast hinein, öffnete
eine eiserne Tür: niemand war zu sehen; er öffnete eine andere, die von Silber
war: auch dort war niemand; als er aber die dritte von Gold öffnete, da saß
hinter der goldenen Tür seine Frau, zählte Flachsgarne und war so vergrämt,
dass schon der Anblick schrecklich war. Als sie aber Ivan-Zarevitsch erblickte,
fiel sie ihm um den Hals: »Du mein blaues Täubchen, wie hab ich mich nach dir
gesehnt! Eine kurze Weile noch, nicht viel später, so hättest du mich
vielleicht nie mehr wieder gesehen!« Und sie weinte vor Freude! Er aber wusste
nicht: war er auf dieser Welt oder auf jener? Sie umarmten sich und küssten
sich herzlich. Dann verwandelte sie sich wieder in einen Kuckuck, nahm
Ivan-Zarevitsch unter die Flügel und flog davon. Und als sie in sein Zarenreich
kamen, verwandelte sie sich wieder in menschliche Gestalt und sprach: »Es war
mein Vater, der mich verwünscht hat und dem Drachen gab auf drei Jahre Dienst;
jetzt aber hab ich meine Strafe schon abgebüßt.« Sie kamen heim und lebten
fortan glücklich miteinander und lobten Gott, der ihnen geholfen hatte.
Quelle:
Löwis
of Menar, August von: Russische Volksmärchen. Jena: Eugen Diederichs, 1927, S.
18-28.
wird fortgesetzt
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