Mittwoch, 8. August 2012

Machwerk R.W. Aristoquakes
   Teil 10 - 214
  Märchenerzähler im Olymp

Als nächster bat Guneus um Gehör.
 (Ilias 2/748; Führer der Enianen und
Perrhäber mit 22 Schiffen)
Der Flotten-Geschwader-Kommandeur
Von zweiundzwanzig schwarzen Schiffen
Trat ans Rednerpult. Ergriffen
Las er, die Seelen waren längst ganz Ohr
Die Frosch- Zarin- Geschichte vor.


Die Frosch-Zarin
Russisches Märchen

Irgendwo in einem Zarenreich, in einem fernen Reich, lebten einst ein Zar und eine Zarin, und sie hatten drei Söhne, die waren wie die Falken. Sie wuchsen heran und wurden so schmucke Burschen, dass es weder zu sagen, noch zu denken, nur im Märchen zu erzählen ist! Und sie kamen in die Jahre, da es Zeit für sie war zu heiraten. Der Zar hatte sich mit seiner Frau gründlich beraten, rief die Söhne zu sich und sprach zu ihnen: »Meine Söhne, meine Falken! Ihr seid nun in die Jahre gekommen, und es ist an der Zeit, euch Frauen zu suchen.« – »Es ist Zeit, Väterchen«, antworteten sie, »es ist Zeit.«
»So nehmt, Kinder, eure silbernen Bogen zur Hand, legt kupferne Pfeile auf und lasst sie fliegen in fremde, ferne Lande: und von dem Hof, in dem sie niederfallen werden, soll jeder seine Braut holen.«
Sie traten hinaus auf den Hof, spannten die Bogen und schossen ab. Der Älteste schoss, und der Pfeil flog schwirrend unter dem Himmel dahin und fiel dann in einem anderen Zarenreich in den Garten des Zaren. Zu dieser Stunde erging sich die Zarentochter im Garten, hob den Pfeil auf und freute sich an ihm. Sie ging zu ihrem Vater und rühmte sich: »Schau, was für einen wunderhübschen Pfeil ich gefunden hab, Väterchen!« – »Gib ihn keinem«, sagte der Zar, »außer demjenigen, der dich zur Gattin nehmen wird.« Und richtig, nach einiger Zeit geschah es, dass der älteste Zarensohn angeritten kam und sie um seinen Pfeil bat. »Ich gebe keinem andern den Pfeil, nur dem, der mich zur Gattin nimmt.« – »Ich will dich zur Gattin nehmen«, sagte der Zarensohn. Und sie versprachen sich, und dann ritt er wieder fort.

Der zweite Bruder schoss, und der Pfeil flog tiefer als die Wolken, aber höher als der Wald und fiel in einen Fürstenhof. Zu der Zeit saß die Fürstentochter auf der Freitreppe, erblickte den Pfeil, hob ihn auf und brachte ihn dem Vater: »Schau, was für einen wunderhübschen Pfeil ich gefunden hab, Väterchen!« – »Gib ihn keinem«, sagte der Fürst, »außer demjenigen, der dich zur Gattin nehmen wird.« Da kam auch der zweite Zarensohn an und bat um seinen Pfeil. Die Fürstentochter gab die gleiche Antwort wie die Zarentochter. Und jener sagte: »Ich will dich zur Gattin nehmen.« Sie versprachen sich, und er ritt davon.

Dann kam die Reihe zu schießen an den dritten Zarensohn. Und als Ivan-Zarevitsch, so wurde er genannt, den Pfeil abschoss, flog er nicht hoch und nicht niedrig, doch höher als die Häuser, und fiel nicht weit und nicht nah zu Boden: beim Dorf in den Sumpf. Auf einem Mooshügelchen aber saß ein  Frosch und nahm den Pfeil an sich. Ivan-Zarevitsch kam und bat: »Gib mir den Pfeil wieder!« – »Den Pfeil gebe ich keinem«, sagte der Frosch, »außer demjenigen, der mich zur Gattin nimmt.« Ivan-Zarevitsch bedachte sich: »Wie sollt ich denn diesen grünen Frosch zur Gattin nehmen?« Er stand noch eine Weile am Sumpf herum, ward sehr betrübt und ging dann weinend nach Hause.



Es war schon Zeit für ihn, zum Vater zu gehn und zu erzählen, welche Braut er gefunden habe. Jene zwei, der älteste und der zweite Bruder, waren so froh, dass es nicht zu sagen war! Ivan-Zarevitsch aber kam daher und weinte. Der Vater sprach zu ihnen: »Nun erzählt nur, meine Söhne, meine Falken, welche Schwiegertöchter ihr gefunden habt!« Der Älteste sagte: »Ich hab eine Zarentochter gefunden, Vater.« Und der Zweite: »Ich – eine Fürstentochter.« Ivan-Zarevitsch aber stand da und brachte kein Wort heraus, er weinte nur und weinte! Der Vater fragte ihn: »Warum weinst du, Ivan-Zarevitsch?« – »Wie sollt ich nicht weinen, meine Brüder haben Frauen, wie sie sein sollen, aber ich muss mir einen grünen Frosch aus dem Sumpfe nehmen; passt er denn zu mir?« – »Nimm ihn!« sagte der Zar, »da ist nichts zu machen: das ist gewiss schon so dein Los!« Und die Zarensöhne heirateten: der Älteste nahm die Zarentochter, der Zweite die Fürstentochter, Ivan-Zarevitsch aber den grünen Frosch aus dem Sumpf.


Und sie heirateten und lebten so dahin. Eines Tages aber wollte der Zar sehen, welche von den Schwiegertöchtern die schönsten Tücher weben könne. Und er gab den Befehl: »Bis morgen in der Früh sollen Tücher gewebt und hierher gebracht werden, damit ich sehe, welche von euch am besten gewebt hat.« Ivan-Zarevitsch ging nach Hause, der Frosch aber kroch ihm entgegen und fragte: »Ivan-Zarevitsch, warum weinst du?« – »Wie sollt ich nicht weinen, da es doch so und so steht: unser Vater verlangt, dass bis morgen früh jede Schwiegertochter ihm ein Tuch webt.« – »Weine nicht! Alles wird bereit sein; leg dich hin und schlaf!« Er legte sich nieder und schlief ein. Doch sie warf ihre Haut ab, ging hinaus auf den Hof, schrie und rief und pfiff, und plötzlich erschienen ihre Mädchen, die Dienerinnen, webten Tücher, stickten gar kunstvoll Adler hinein und gaben ihr die Tücher. Sie nahm sie entgegen, legte sie neben Ivan-Zarevitsch hin, zog wieder ihre Haut an und ward zum Frosch, wie sie vorher gewesen. Als Ivan-Zarevitsch erwachte, da erblickte er Tücher, wie er sein Lebtag keine gesehen hatte! Er ward froh und brachte sie dem Zaren. Der Vater dankte ihm vielmals für die Tücher. Und die Tücher der anderen Schwiegertöchter gab er in die Küche, denn sie waren nur so-so, ganz einfach, aber des Frosches Tücher hängte er am Heiligenbilde auf.
Und der Vater gab abermals einen Befehl: die Schwiegertöchter sollten Buchweizenfladen backen und sie ihm bringen, damit er sehe, wer's am besten verstünde. Ivan-Zarevitsch ging nach Hause und weinte wiederum. Der Frosch kroch ihm entgegen und quakte: »Ivan-Zarevitsch, warum weinst du?« – »Wie sollt ich nicht weinen, da der Vater befohlen hat, Buchweizenfladen zu backen, du das aber nicht verstehst!« – »Weine nicht, wir werden damit schon zurechtkommen! Leg dich hin und schlaf!« Er legte sich nieder und schlief ein. Die andern Schwiegertöchter aber standen unterm Fenster, um mit anzusehen, wie sie backen würde. Sie begann den Teig dünn einzurühren und arbeitete ihn so durch, daß er flüssig blieb, dann kletterte sie auf den Ofen, schlug ein Loch hinein, goss alles hinunter, und der Kuchenteig zerfloss im Nu auf den heißen Steinen. Die Schwiegertöchter aber liefen schnell nach Hause und machten's ebenso. Und die buken solche Buchweizenfladen zusammen, dass man sie nur den Hunden vorwerfen konnte. Doch als sie fort waren, warf der Frosch die Haut ab, trat auf den Hof hinaus, schrie und rief und pfiff, und gleich waren auch die Mädchen, die Dienerinnen, da. Sie befahl ihnen, bis zum Morgengrauen die Buchweizenfladen fertigzumachen. Gar bald brachten sie die Fladen, wie die Sonne so schön waren sie geworden! Die Schwiegertochter nahm sie entgegen, legte sie neben Ivan-Zarevitsch, zog dann die Haut an und ward wieder zum grünen Frosch, wie sie vorher gewesen. Ivan-Zarevitsch erwachte und schaute – neben ihm lagen Buchweizenfladen, einer schöner als der andere. Er freute sich sehr und brachte sie dem Zaren. Der Vater aber war ihm sehr dankbar. Die Buchweizenfladen der andern Schwiegertöchter ließ er den Hunden vorwerfen, aber die des Frosches befahl er bei Tisch zu reichen.
Und wieder gab der Zar den Söhnen etwas auf: »Kommt an dem und dem Tage mit euren Frauen zum Festmahl.« Die älteren Brüder freuten sich, Ivan-Zarevitsch aber ging nach Hause, ließ den Kopf hängen und weinte. Der Frosch kroch ihm entgegen und fragte: »Ivan-Zarevitsch, warum weinst du?« – »Wie sollt ich nicht weinen«, sagte er, »da der Vater uns befohlen hat, mit unseren Frauen zum Festmahl zu kommen. Wie soll ich aber dich hinbringen?« – »Weine nicht«, antwortete sie, »leg dich hin und schlaf, wir fahren schon irgendwie hin!« Er legte sich nieder und schlief ein. Und als der Tag kam, an dem das Festmahl sein sollte, wurde Ivan-Zarevitsch wieder traurig. »Gräm dich nicht, Ivan-Zarevitsch«, sagte der Frosch, »geh nur voran! Wenn aber der Regen anfängt zu tröpfeln, so wisse, dass dein Weib sich mit Regentau wäscht; und wenn ein Blitzstrahl aufzuckt, so wisse, dass dein Weib sich den Staat anzieht für den Weg; doch wenn der Donner grollt, so kommt sie gleich.« Ivan-Zarevitsch kleidete sich an, saß auf und ritt davon.
Und als er hinkam, waren die älteren Brüder mit ihren  Frauen schon da; sie selber waren reich gekleidet, ihre Frauen aber kamen in Gold, in Seide und mit kostbarem Halsschmuck. Die Brüder spotteten über ihn: »Warum bist du denn allein gekommen, Bruder? Hättest du sie doch in ein Tuch gebunden und hergebracht.« – »Spottet nicht«, sagte er, »sie kommt schon nachher.« Als aber der Regen anfing zu tröpfeln, sagte Ivan-Zarevitsch: »Jetzt wäscht sich mein liebes Weib mit Regentau!« Die Brüder aber spotteten über ihn: »Bist du denn toll geworden, daß du solchen Unsinn redest?« Und als ein Blitzstrahl aufzuckte, sagte Ivan-Zarevitsch: »Jetzt legt mein liebes Weib den Staat an für den Weg!« Die Brüder zuckten bloß mit den Achseln: der Bruder war doch bisher ganz vernünftig, aber jetzt ist er von Sinnen gekommen! Doch plötzlich fing der Donner gewaltig an zu grollen, dass der Palast erbebte; der Zarensohn aber sprach: »Jetzt kommt mein Täubchen schon!« Und richtig, an der Freitreppe fuhr eine Kutsche mit sechs feurigen Rossen vor, und die Schwiegertochter stieg heraus und war so schön, dass alle ganz still und schüchtern wurden!
Dann setzten sie sich zum Mahl; und der Zar, die Zarin und die beiden älteren Brüder konnten sich nicht satt sehen an ihr, denn wirklich: sie war so schön, so schön, daß es nicht zu sagen war! Und nun wurde gegessen; sie steckte aber einen Bissen in den Mund, einen in den Ärmel, einen Löffel in den Mund, einen in den Ärmel. Die andern Schwiegertöchter achteten auf sie und machten's ebenso: einen Löffel in den Mund, einen in den Ärmel, einen Bissen in den Mund, einen in den Ärmel. Und als sie fertig waren, gingen sie auf den Hof; die Musik fing an zu spielen, und der Vater bat zum Tanz. Die zwei Schwiegertöchter wollten aber nicht und sagten: »Mag sie zuerst tanzen!« Doch als sie nun mit Ivan-Zarevitsch anfing zu tanzen, da berührte sie kaum den Boden, so leicht und schön tanzte sie! Und dann schwenkte sie den rechten Ärmel und warf einen Bissen hinaus, da ward daraus ein Garten, und in dem Garten war eine Säule, auf ihr ging ein Kater hinauf und hinab, ging er hinauf, sang er Lieder, kam er herunter, erzählte er Märchen. Sie tanzte und tanzte, schwenkte den linken Ärmel, und in dem Garten entstand ein Flüsschen, und in dem Flüsschen schwammen Schwäne. Alle staunten über das Wunder wie kleine Kinder! Sie tanzte bis zum Ende und setzte sich hin, um auszuruhen. Dann gingen auch die anderen Schwiegertöchter zum Tanz. Und wie sie den rechten Ärmel schwenkten, flogen die Knochen der Zarin an die Stirn, und als sie den linken Ärmel schwenkten, spritzten sie dem Zaren die Augen voll. Da rief der Zar ihnen zu: »Genug, genug, ihr Töchter von Hundesöhnen! Ihr schlagt mir ja die Augen aus.« Da ließen sie's bleiben. Sie setzten sich alle auf die Sockelbank hin, die Musik spielte, und nun tanzten die Hofbedienten.
Ivan-Zarevitsch aber schaute auf sein Weib und wunderte sich, wie aus dem grünen Frosch ein so wunderschönes Mädchen geworden war, dass man die Augen nicht mehr abwenden konnte! Da befahl er, ein Ross vorzuführen, und eilte nach Hause, um nachzuschauen, von wo sie das alles her habe. Er kam an, ging in das Zimmer, in dem sie schlief, und fand dort die Froschhaut liegen. Im Kamin war Feuer; er warf die Haut hinein, und nichts als Rauch stieg in die Höhe. Dann kehrte er wieder zum Zaren zurück und kam noch zurecht zum Abendschmaus. Noch lange vergnügten sie sich dort, und erst als der Morgen graute, fuhren sie auseinander. Auch Ivan-Zarevitsch fuhr mit seiner Frau heim. Und als sie nach Hause kamen, ging sie in ihr Zimmer, schaute umher, aber die Froschhaut war nicht mehr da. Sie suchte und suchte und fragte schließlich: »Ivan-Zarevitsch, hast du nicht mein Kleid gesehen?« – »Welches denn?« – »Meine Haut«, sagte sie, »ich hab sie hier abgeworfen.« – »Und ich hab sie verbrannt!« sagte Ivan-Zarevitsch. »Ach, was hast du mir angetan, Ivan-Zarevitsch? Hättest du sie nicht angerührt, wäre ich ewig die Deine geblieben, jetzt aber müssen wir uns trennen, vielleicht für immer.« Sie weinte und weinte, mit blutigen Tränen weinte sie und sprach sodann: »Leb wohl! Such mich im dreißigsten Zarenreich, im dreißigsten fremden Reich bei der Baba-Jaga, dem Knochenbein.« Sie schwang ihre Händchen in die Höh und verwandelte sich in einen Kuckuck; das Fenster war geöffnet, und sie flog hinaus.
Lange grämte sich Ivan-Zarevitsch um sein Weib, lange weinte er bitterlich; er fragte alle Leute, was er machen solle, aber niemand konnte ihm raten. Da nahm er seinen silbernen Bogen, füllte einen Sack mit Brot, hängte sich die Kürbisflasche über die Schultern und ging auf die Suche. Er wanderte und wanderte und begegnete einem Alten; der war so weiß wie Milch und fragte den Zarensohn: »Guten Tag, Ivan-Zarevitsch! Wohin führt dich dein Weg?« – »Ich gehe, wohin die Augen schauen, meine Frau zu suchen: sie ist irgendwo im dreißigsten Zarenreich, im dreißigsten fremden Reich bei der Baba-Jaga, dem Knochenbein. So geh ich und weiß nicht wohin. Wisst Ihr nicht, Alterchen, wo sie lebt?« – »Warum soll ich es nicht wissen? Gewiss weiß ich's.« – »Sagt es auch mir, Alterchen, seid so gut!« – »Ach, wozu soll ich dir's sagen, mein Sohn: es ist ja gleich, ob ich's tu oder nicht, du bringst ja doch nichts zustande.« – »Einerlei, ob ich's vollbring oder nicht, sagt mir's nur, ich werde mein Lebtag für Euch beten.« – »Na, wenn du's so notwendig wissen musst, dann nimm hier das Knäuel, und roll es vor dir her, und wohin es läuft, dahin geh ihm nach, so kommst du geradewegs zur Baba-Jaga, dem Knochenbein.« Ivan-Zarevitsch dankte dem  Alten für das Knäuel und ließ es laufen: das Knäuel rollte dahin, und er ging ihm nach. Und er kam in einen so dichten Wald, dass es dunkel ward ringsum. Da begegnete ihm ein Bär. Er legte einen kupfernen Pfeil auf den silbernen Bogen und wollte schießen. Aber der Bär sprach zu ihm: »Ivan-Zarevitsch, töte mich nicht, ich werde dir noch von großem Nutzen sein!« Er verschonte ihn und tötete ihn nicht. Und ebenso geschah es mit einem Falken, auch den tötete er nicht.
Und er wanderte und wanderte; das Knäuel rollte vor ihm her, und er ging ihm nach, und so kam er schließlich an das blaue Meer. Da sah er am Ufer auf dem Trockenen einen Hecht, den Scharfzahn, liegen, der war in der Sonne an Todes Enden. Er wollte ihn aufheben und verspeisen, aber der Hecht bat ihn: »Ivan-Zarevitsch, iß mich nicht, wirf mich lieber in das Meer, ich werde dir noch von großem Nutzen sein!« Da warf er ihn ins Meer und ging weiter. Und endlich gelangte er in das dreißigste Zarenreich, in das dreißigste fremde Reich. Da stand ein Hüttchen auf einem Hühnerfüßchen, mit Rohrstäben gestützt, sonst wär es zusammengefallen. Er trat in das Hüttchen, und dort lag auf dem Ofen die Baba-Jaga, das Knochenbein. Ihre Füße hingen bis zur Ofenpritsche hinunter, den Kopf aber hatte sie an den Rauchfang gelehnt. »Willkommen, Ivan-Zarevitsch! Bist du mit Willen oder wider Willen hierher gekommen?« – »Mit Willen und auch wider Willen«, sagte er. »Versteckst du dich vor jemand oder suchst du jemand?« – »Ich verstecke mich gar nicht, Mütterchen, sondern ich suche meine liebe Frau, den grünen Frosch.« – »Ich weiß, ich weiß!« sagte die Baba-Jaga, »sie sucht mir die Läuse ab vom Kopf, wenn sie zu Gast kommt.« – »Wo ist sie denn, Mütterchen, sagt mir's!« – »Sie dient bei meinem Brüderchen als Tagelöhnerin.« Da bat er sie flehentlich, ihm zu sagen, wo ihr Bruder wohne. Sie antwortete: »Dort im Meer ist eine Insel, auf der steht seine Hütte. Aber sieh dich vor, dass dir kein Unglück zustößt! Sobald du deine Frau erblickst, pack sie rasch und flieh mit ihr, aber schau dich nicht um.« Er dankte der Baba-Jaga und wanderte von dannen.
Er ging und ging und gelangte ans Meer; er schaute und sah nur das endlose Meer, aber wo die Insel sein mochte, das wusste Gott weiß wer. Er ging am Meer entlang, ließ den Kopf hängen und grämte sich. Da schwamm der Hecht empor und fragte: »Ivan-Zarevitsch, warum grämst du dich?« – »So und so steht's«, antwortete er, »auf dem Meer ist eine Insel, und ich kann auf keine Art hinüber.« – »Sei nicht traurig!« sagte der Hecht. Und dann schlug er mit dem Schwanz aufs Wasser, und eine Brücke entstand, wie sie auch der Zar nicht hatte: die Pfähle waren aus Silber, die Geländer aus Gold, der Boden aber war mit Glas gedeckt; gingst du darauf, so war dir's wie auf einem Spiegel! Ivan-Zarevitsch ging nun über die Brücke und gelangte auf die Insel. Dort aber stand ein Wald, der war so dicht, dass man nicht durchgehen, noch sich durchzwängen konnte, und dunkel war's, ganz dunkel. Ivan-Zarevitsch wanderte am Wald entlang und weinte und weinte. Auch war ihm das Brot ausgegangen, und er hatte nichts zu essen. Er setzte sich in den Sand, grämte sich und dachte: »Nun bin ich verloren!« Plötzlich lief ein Hase an ihm vorbei; der Falke stieß auf ihn herab und tötete ihn; Ivan-Zarevitsch nahm den Hasen, zog ihm das Fell ab, rieb Feuer aus zwei Hölzern, briet den Hasen am Spieß und aß ihn auf. Und als er satt war, fing er an zu überlegen, wie er in den Palast gelangen könnte. Und wieder ging er am Walde entlang, doch der Wald war wirklich so dicht, dass man nicht eindringen konnte. Plötzlich aber kam  ihm der Bär entgegen. »Willkommen, Ivan-Zarevitsch! Warum läufst du hier herum?« – »Ich will in den Palast hinein, aber es geht nicht wegen des Waldes.« – »Ich werde dir helfen.« Und er fing an die Eichen zu brechen und schleuderte Stämme zur Seite, die ein Mann nicht umfassen konnte! So arbeitete er lange und ward müde; dann ging er hin und trank Wasser und fing wieder an, die Bäume zu brechen. Und schon hatte er einen schmalen Pfad gelichtet! Wieder ging er hin, um Wasser zu trinken, und brach sich dann weiter durch. Er machte bis zum Palast einen Pfad, den ging Ivan-Zarevitsch.
Und als er dahin schritt, kam er mitten im Walde in ein liebliches Tal, und in dem Tal stand ein Palast aus Glas. Er ging in den Palast hinein, öffnete eine eiserne Tür: niemand war zu sehen; er öffnete eine andere, die von Silber war: auch dort war niemand; als er aber die dritte von Gold öffnete, da saß hinter der goldenen Tür seine Frau, zählte Flachsgarne und war so vergrämt, dass schon der Anblick schrecklich war. Als sie aber Ivan-Zarevitsch erblickte, fiel sie ihm um den Hals: »Du mein blaues Täubchen, wie hab ich mich nach dir gesehnt! Eine kurze Weile noch, nicht viel später, so hättest du mich vielleicht nie mehr wieder gesehen!« Und sie weinte vor Freude! Er aber wusste nicht: war er auf dieser Welt oder auf jener? Sie umarmten sich und küssten sich herzlich. Dann verwandelte sie sich wieder in einen Kuckuck, nahm Ivan-Zarevitsch unter die Flügel und flog davon. Und als sie in sein Zarenreich kamen, verwandelte sie sich wieder in menschliche Gestalt und sprach: »Es war mein Vater, der mich verwünscht hat und dem Drachen gab auf drei Jahre Dienst; jetzt aber hab ich meine Strafe schon abgebüßt.« Sie kamen heim und lebten fortan glücklich miteinander und lobten Gott, der ihnen geholfen hatte.
Quelle:
Löwis of Menar, August von: Russische Volksmärchen. Jena: Eugen Diederichs, 1927, S. 18-28.


 wird fortgesetzt

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Zur Einstimmung

Bei dem hier unter dem Pseudonym R.W. Aristoquakes virtuell zur Veröffentlichung gebrachten, mehr als einhundertfünfzigtausend Doppelverszeilen umfassenden und mit über 15.000 Zeichnungen versehenen Epos handelt es sich um die umfangreichste Nacherzählung des Homer zugeschriebenen Kriegsberichtes, die jemals niedergeschrieben wurde und nach Auffassung des Autors, um das wichtigste literarische Werk der Neuzeit überhaupt.

Unter dem oben abgedruckten Titel veröffentlicht der noch unbekannte Schriftsteller an dieser Stelle in den nächsten fünf Jahren sein als Fortsetzungeerzählung entstandenes Mammutmachwerk über den antiken Tierkrieg und dessen Folgen für die Menschheit.

Das über zweitausend Jahre alte homerische Epillion, das im Original nur etwa 300 Verszeilen umfasst, wurde von R.W. A., der zehn Jahre lang daran gearbeitet hat, zu einem Mammutwerk aufgebläht, das die Batrachomyomachia mit der Ilias und der Bibel verbindet.

Diese Verknüpfung der drei wichtigsten Werke der abendländischen Literatur, die in etwa zur gleichen Zeit entstanden sind, dient dem Autor dazu, seine religionsgeschichtliche These zu untermauern, in der er den Frosch als Ursprungsgottheit darstellt und behauptet, dass die Götter der Neuzeit nichts anderes sind als die konsequente Weiterentwicklung der ägyptischen Froschgötter.