Machwerk R.W. Aristoquakes
Teil 10 - 173
Märchenerzähler im Olymp
Der tapfere Achäer Eioneus,
(Ilias 7/11; von Hektor getötet)
Vor Troja dereinst in der Schlacht
Durch Hektors Lanze umgebracht,
Stieg aufs Podium. "Bein alten Zeus"
Begann er dort seinen Bericht.
"Glaubt es oder glaubt es nicht"
Und dann trug mit heitrem Sinn
Dem Publikum der Referendar
Das Märchen von der Königin
Vor, die einst ein Fröschlein war.
Die Froschkönigin
Vor Zeiten
lebte ein Zar, der hatte drei Söhne. Als sie ein mannbares Alter erreichten,
rief er sie zu sich und sprach: "Meine liebwerten Söhne, solange ich noch
nicht alt bin, möchte ich euch gern verheiraten, um mich an euren Kindern,
meinen Enkeln, zu erfreuen." Die Söhne erwiderten: "Es sei,
Väterchen, gib uns deinen Segen. Wen hast du für uns erwählt?" "Hört
zu. Nehmt jeder einen Pfeil, geht hinaus aufs Feld und schießt ihn, ab. Wo der
Pfeil hinfällt, dort wartet euer Schicksal." Die Söhne verneigten sich vor
dem Vater, nahmen jeder einen Pfeil, begaben sich aufs Feld, spannten die Bögen
und schossen ihre Pfeile ab. Der Pfeil des ältesten Sohnes fiel auf einen
Bojarenhof, die Tochter des Bojaren hob ihn auf. Der Pfeil des zweiten Sohnes
fiel auf den weitläufigen Hof eines Kaufherrn, seine Tochter hob ihn auf. Der
Pfeil des jüngsten Sohnes, des Zarewitschs Iwan, schnellte in die Luft und flog
davon, wer weiß wohin.
Nun machte
sich Zarewitsch Iwan auf, den Pfeil zu suchen. Er wanderte und wanderte und
gelangte schließlich an einen Sumpf. Dort sah er einen Frosch sitzen, der
seinen Pfeil hielt. Zarewitsch Iwan sprach: "Fröschlein, Fröschlein, gib
mir meinen Pfeil zurück." Der Frosch aber antwortete: "Nur wenn du
mich heiratest!" "Wo denkst du hin! Wie kann ich einen Frosch zur
Frau nehmen?" "Nimm mich, so will es dein Schicksal." Zarewitsch
Iwan war sehr bestürzt, aber was blieb ihm übrig? Er nahm also den Frosch und
trug ihn heim. Der Zar richtete drei Hochzeiten aus: Den ältesten Sohn
vermählte er mit der Bojarentochter, den mittleren mit der Tochter des Kaufherrn
und den unglücklichen Zarewitsch Iwan mit dem Frosch. Eines Tages rief der Zar
abermals die Söhne zu sich. "Ich möchte wissen, welche von euren Frauen am
Geschicktesten mit der Nadel umzugehen versteht. Bis morgen soll mir jede ein
Hemd nähen." Die Söhne verneigten sich und gingen. Zarewitsch Iwan kam nach
Hause, setzte sich und ließ den Kopf hängen. Der Frosch hüpfte auf dem Fußboden
herum und fragte: "Was betrübt dich, Zarewitsch Iwan? Hast du
Kummer?" "Mein Vater will bis morgen ein Hemd von dir genäht
haben."
Der Frosch antwortete: "Gräm dich nicht, Zarewitsch Iwan, leg dich besser
schlafen, der Morgen ist klüger als der Abend".
Zarewitsch
Iwan legte sich zur Ruhe, der Frosch aber hüpfte auf die Vortreppe, warf die
Froschhaut ab und verwandelte sich in Wassilissa die Weise, eine Jungfrau von
solcher Schönheit, dass es nicht einmal im Märchen zu beschreiben ist.
Wassilissa die Weise klatschte in die Hände und rief: "Ihr Mägde und
Frauen, herzu im Nu! Näht mir bis morgen früh ein Hemd, wie ich es bei meinem
Väterchen gesehen." Als Zarewitsch Iwan am nächsten Morgen erwachte, hüpfte
der Frosch wieder auf dem Fußboden herum, das Hemd aber lag schon fertig auf
dem Tisch, säuberlich in ein Tuch eingeschlagen. Da freute sich Zarewitsch
Iwan, nahm das Hemd und brachte es seinem Vater. Derweil nahm der Zar die Gaben
der beiden älteren Söhne entgegen. Der älteste Sohn breitete das mitgebrachte
Hemd aus, der Zar sah es an und sagte: "Ein solches Hemd taugt nur, um es
in einer schmutzigen Kate zu tragen." Der zweite Sohn breitete sein Hemd
aus, und der Zar sagte: "Das taugt höchstens, um ins Bad zu gehen."
Nun breitete Zarewitsch Iwan das Hemd aus, das war kunstvoll mit Gold und
Silber gemustert. Der Zar warf nur einen Blick darauf und rief: "Wahrlich
ein Hemd, das man an Festtagen tragen kann." Die beiden älteren Brüder
gingen nach Hause und sprachen miteinander: "Wir hätten doch nicht über
Zarewitsch lwans Frau spotten sollen, mit ihr scheint's nicht recht geheuer zu
sein, vielleicht ist sie gar kein Frosch."
Nach
einiger Zeit rief der Zar seine Söhne abermals. "Eure Frauen sollen mir
bis morgen jede ein Brot backen. Ich möchte wissen, welche am besten kocht und
backt." Zarewitsch Iwan liess den Kopf hängen und ging betrübt nach Hause.
Der Frosch fragte: "Was macht dir Kummer?" Er antwortete: "Du
sollst bis morgen für den Zaren ein Brot backen." "Da mach dir keine
Sorgen, Zarewitsch Iwan, leg du dich nur schlafen, der Morgen ist klüger als
der Abend." Zuerst hatten die Schwägerinnen über das Fröschlein gespottet,
jetzt dagegen schickten sie eine alte Hofmagd aus, die sollte heimlich
beobachten, wie der Frosch backen würde. Das Fröschlein aber war gewitzt und
ahnte das. Es rührte den Teig an, brach den Backofen oben auf und schüttete den
aufgegangenen Teig ins Loch. Die alte Hofmagd eilte flugs zu den Schwägerinnen,
berichtete, was sie erspäht, und die verfuhren nun ebenso. Das Fröschlein aber
hüpfte vors Haus, verwandelte sich in Wassilissa die Weise und klatschte in die
Hände. "Ihr Mägde und Frauen, herzu im Nu! Backt mir bis morgen früh ein
Brot, schön weich und weiß, wie ich es bei meinem Väterchen gegessen." Als
Zarewitsch Iwan am nächsten Morgen erwachte, sah er das Brot bereits auf dem
Tisch prangen, kunstvoll verziert und geschmückt, rundherum gepresste Muster,
obenauf eine ganze Stadt mit Türmen und Zinnen. Da freute sich Zarewitsch Iwan,
schlug das Brot in ein Leinentuch und brachte es dem Vater. Der empfing schon
die beiden älteren Söhne. Ihre Frauen hatten den Teig in den Ofen geschüttet,
wie sie es die alte Hofmagd geheißen, und herausgekommen war nichts als
angebrannter Dreck. Der Zar nahm das Brot des ältesten Sohnes entgegen,
betrachtete es und schickte es in die Gesindestube. Dann nahm er das Brot des
zweiten Sohnes und ließ es ebenfalls dorthin bringen. Aber als Zarewitsch Iwan
sein Brot überreichte, rief der Zar: "Wahrlich ein Brot, um es an
Festtagen zu verzehren!"
Nun gebot der Zar seinen drei Söhnen, am nächsten Tag mit ihren Frauen zu einem
Festmahl bei ihm zu erscheinen. Wiederum kam Zarewitsch Iwan niedergeschlagen
nach Hause, der Kopf hing ihm schier auf die Brust herab. Das Fröschlein hüpfte
auf dem Boden. "Quak-quak, warum so betrübt, Zarewitsch Iwan, oder hat dir
Väterchen Zar unfreundliche Worte gegeben? "Ach, Fröschlein, Fröschlein,
wie sollte ich mich nicht grämen! Väterchen befiehlt uns beide morgen zum
Festmahl, bloss - wie soll ich mich mit dir den Leuten zeigen?" Das
Fröschlein erwiderte: "Gräme dich nicht, Zarewitsch Iwan, geh du allein
zum Mahl, ich komme nach. Und wenn du es poltern und donnern hörst, so
erschrick nicht. Und sollte man dich fragen, so antworte: "Da kommt mein
Fröschlein in einem Kästchen gefahren!" So ging Zarewitsch Iwan allein zum
Festmahl. Die älteren Brüder fanden sich mit ihren Frauen ein, die waren
geputzt und geschmückt, geschminkt und gepudert. Sie stellten sich hin und
lachten Zarewitsch Iwan aus. "Warum bist du denn ohne Frau gekommen?
Hättest sie doch leicht in einem Schnupftuch mitbringen können. Wo hast du bloß
so was Schönes aufgetrieben? Hast bestimmt alle Sümpfe danach abgesucht?"
Der Zar setzte sich mit seinen Söhnen, Schwiegertöchtern und Gästen an die
eichenen Tafeln, an die linnenen Tücher, die reichgedeckten, um zu schmausen.
Plötzlich erhob sich ein Poltern und Donnern, dass das Schloss in seinen
Grundfesten wankte. Die Gäste erschraken, sprangen von ihren Sitzen auf,
Zarewitsch Iwan aber sprach: "Ängstigt euch nicht, liebwerte Gäste, es ist
bloss mein Fröschlein, das in einem Kästchen gefahren kommt." Von sechs
Schimmeln gezogen, brauste schon eine goldene Kutsche heran, und heraus stieg
Wassilissa die Weise, das himmelblaue Kleid mit Sternen besät, auf dem Haupt
einen schimmernden Mond. So herrlich schön, wie man's nie gesehen, nicht zu
beschreiben, nicht zu erdichten, nur im Märchen zu berichten. Sie nahm
Zarewitsch Iwan bei der Hand und führte ihn zu den eichenen Tischen, zu den
Tüchern von Linnen, den erlesenen Speisen. Die Gäste schmausten, tranken und
waren guter Dinge. Wassilissa die Weise hob den Becher an die Lippen, die Neige
schüttete sie jedoch in ihren linken Ärmel, aß vom Schwanenbraten, steckte
jedoch die Knöchlein in den rechten Ärmel. Den Frauen der älteren Söhne entging
das nicht, und sie taten es ihr nach. Nach dem Trinken und Schmausen wurde
getanzt. Wassilissa die Weise nahm Zarewitsch Iwans Arm und tanzte und kreiste,
wirbelte und schwang sich, dass alles staunte. Auf einmal schüttelte sie den
linken Ärmel, und schon entstand ein See; dann schüttelte sie den rechten, da
schwammen weiße Schwäne auf der Flut. Der Zar und die Gäste wussten sich nicht
zu fassen vor Staunen.
Nun
begannen die älteren Schwiegertöchter zu tanzen. Sie schüttelten die Ärmel,
bespritzten jedoch nur die Gäste, schüttelten abermals, da flogen die Knochen
durch die Luft und einer dem Zaren ins Auge. Der Zar ergrimmte und jagte die
beiden hinaus. Derweil hatte sich Zarewitsch Iwan nach Hause davongestohlen,
und dort fand er die Froschhaut, warf sie in den Ofen und ließ sie verbrennen.
Als Wassilissa die Weise heimkehrte, suchte sie vergeblich nach der Froschhaut,
sank bekümmert auf die Bank und sprach niedergeschlagen zu Zarewitsch Iwan:
"Ach, Zarewitsch Iwan, was hast du angerichtet! Hättest du nur noch drei
Tage gewartet, wäre ich auf ewig dein gewesen. Jetzt aber lebe wohl. Willst du
mich finden, so suche hinter dreimal neun Ländern im dreimal zehnten Reich bei
Kostschej, dem vorm Tode Gefeiten." Damit verwandelte sich Wassilissa die
Weise in einen Schwan und flog zum Fenster hinaus. Zarewitsch Iwan vergoss
bittere Tränen, verneigte sich nach allen vier Himmelsrichtungen und zog in die
weite Welt, sein Weib, Wassilissa die Weise, zu suchen. Er wanderte in die
Kreuz und Quere, so manchen Tag, vertrat die Stiefel, zerschliss den Kaftan,
der Regen verdarb ihm die Mütze. Einmal traf er ein uraltes Männlein.
"Grüß Gott, wackerer Gesell! Wohin des Wegs?" Zarewitsch Iwan
erzählte ihm von seiner Not. Das uralte Männlein antwortete:
"Ach, Zarewitsch Iwan, warum hast du die Froschhaut verbrannt? Nicht du
hast sie ihr gegeben, nicht du hattest sie ihr nehmen sollen. Wassilissa die
Weise war klüger und gewitzter als ihr Vater, und aus Zorn darüber verwandelte
er sie für drei Jahre in einen Frosch. Nun, nichts zu machen. Hier, nimm dieses
Garnknäuel, wohin es rollt, dorthin folge ihm getrost." Zarewitsch Iwan bedankte
sich bei dem uralten Männlein und folgte dem Knäuel. Das rollte voran, er ging
hinterdrein. Auf freiem Felde trat ihm ein Bär entgegen. Zarewitsch Iwan
zielte, um den Bären zu erlegen. Der Bär aber sprach mit menschlicher Stimme:
"Töte mich nicht, Zarewitsch Iwan, eines Tages kann ich dir noch nützlich
sein." Zarewitsch Iwan bedauerte den Bären, er ließ ihn ungeschoren und
zog weiter. Nach einer Weile sah er einen Erpel in der Luft. Schon zielte er,
da sprach der Erpel mit Menschenstimme: "Töte mich nicht, Zarewitsch Iwan!
Ich werde dir noch nützlich sein." Zarewitsch Iwan verschonte den Erpel
und zog weiter. Da sprang ihm ein Hase über den Weg. Wieder wollte Zarewitsch
Iwan das Wild erlegen, aber der Hase sprach mit Menschenstimme: "Töte mich
nicht, Zarewitsch Iwan, ich werde dir nützlich sein." Zarewitsch Iwan
verschonte auch den Hasen und zog weiter. So kam er schließlich ans blaue Meer
und sah im Sand einen Hecht liegen. Der schnappte jämmerlich nach Luft und
sprach: "Ach, Zarewitsch Iwan, erbarme dich meiner, wirf mich ins blaue
Meer" Zarewitsch Iwan warf den Hecht ins Meer und zog am Strand weiter.
Über kurz oder lang rollte das Knäuel zu einem Wald. Und dort stand eine Hütte
auf Hühnerbeinen und drehte sich immer im Kreise. "Hüttchen, Hüttchen, stehe
still, wie das alte Muttchen will. Den Rücken jetzt zum Walde dreh, damit ich
durch die Türe geh!" Das Hüttchen drehte sich mit der Rückwand dem Walde,
mit der Tür Zarewitsch Iwan zu. Er trat ein und sah: Oben auf dem Ofen hockte
die Hexe Baba-Jaga, das Knochenbein ragte über den Ofenrand, die Nase stieß
gegen die Decke. "Was führt dich zu mir, braver Gesell?" fragte die
Hexe. "Kommst du in ernsten Dingen, will dir was nicht gelingen?"
Zarewitsch Iwan antwortete:
"Ach,
du alter Satansbraten, setz mir lieber etwas zu essen und zu trinken vor und
richte mir das Bad, fragen kannst du nachher!" Die Hexe Baba-Jaga
bereitete ihm das Bad, setzte ihm Speise und Trank vor, brachte ihn zu Bett,
und Zarewitsch Iwan erzählte ihr, dass er sein Weib, Wassilissa die Weise, suche.
"Weiß schon, weiß schon", sagte Baba Jaga. "Dein Weib hält
Kostschej, der vorm Tode Gefeite, gefangen. Sie zu befreien wird schwierig
sein, denn es ist nicht leicht, mit Kostschej fertig zu werden. Sein Tod hängt
an einer Nadelspitze, die Nadel ist in einem Ei verborgen, das Ei in einer
Ente, die Ente in einem Hasen, der Hase sitzt in einer steinernen Truhe, die
Truhe aber steht auf einem hohen Eichenbaum, und den behütet Kostschej wie
seinen Augapfel."
Zarewitsch
Iwan übernachtete bei der Hexe, und am nächsten Morgen wies sie ihm den Weg zu
der hohen Eiche. Über kurz oder lang fand Zarewitsch Iwan die Stelle, sah die
hohe Eiche stehen, hörte sie im Winde rauschen, und in ihrem Wipfel erblickte
er die steinerne Truhe. Aber wie sie herunterholen? Plötzlich kam der Bär
gelaufen und riss die Eiche mit der Wurzel aus. Die Truhe fiel herab und
zersprang. Aus der Truhe sprang ein Hase und suchte sogleich das Weite. Aber
sogleich setzte ihm der erste Hase nach, überholte ihn und zerriss ihn in
Stücke. Aus dem Hasen schwang sich eine Ente in die Luft und stieg immer höher.
Doch da nahte schon der Erpel, fiel über die Ente her, und sie verlor das Ei,
aber das Ei fiel ins blaue Meer. Als Zarewitsch Iwan das sah, brach er in
Tränen aus. Wie sollte er das Ei im weiten Meer finden? Doch da kam der Hecht
zum Ufer geschwommen und hielt das Ei zwischen den Zähnen. Zarewitsch Iwan
zerbrach das Ei, holte die Nadel heraus und ergriff die Spitze, um sie
abzubrechen. Er bog sie und brach sie, und Kostschej wand und krümmte sich. Wie
sehr Kostschej auch um sich schlug, Zarewitsch Iwan brach die Spitze der Nadel
ab, und Kostschej musste wohl oder übel sterben. Darauf trat Zarewitsch Iwan in
Kostschejs Marmorgemächer. Wassilissa die Weise eilte ihm entgegen und küsste
ihn auf die Lippen. Zarewitsch Iwan und Wassilissa die Weise kehrten in ihr
Reich zurück und lebten noch lange und glücklich bis in ihr hohes Alter.
Russisches
Volksmärchen
wird fortgesetzt
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