Machwerk R.W. Aristoquakes
Teil 10 - 182
Märchenerzähler im Olymp
Übergangslos ging es weiter.
Ephialtes, der tapfere Streiter,
(Ilias 5/385; Sohn des Aloeus, Bruder
des Otos, hält mit dem den Ares gefangen)
Der Ares einst gefangen nahm,
Als nächster auf das Podium kam.
"Ich hab euch etwas mitgebracht
Was euch sicher Freude macht"
Sprach Otos Bruder, des Aloeus Sohn.
Dann, mit Verbindlichkeit im Ton,
Trug er, er war ein ausgekochter
Erzähler, von einer Königstochter
Das Märchen, alle waren schon ganz Ohr,
Und der Schorfkröte, den Seelen vor.
Die Königstochter
und die Schorfkröte
Es war einmal ein König, der hatte eine einzige Tochter. Das war eine rechte
Wildtaube, trieb sich am liebsten mit den Jungen herum und sprang vom Morgen
bis zum Abend über Block und Stock. Als sie zehn Jahre alt geworden war, lag
sie den ganzen Tag mit ihrem Boot auf dem Wasser, und dabei kam es einmal, dass
ihr das goldene Geschmeide, welches ihr der alte König zum Geburtstag geschenkt
hatte, vom Arme glitt und in das Wasser fiel. Da war die Not groß, denn das
Armband war von unermesslichem Werte, und der König sah auf das Geld; er ließ
darum alle Fischer seines Königreiches kommen, die mussten eine Woche lang den
See abfischen. Aber obgleich sie Tag und Nacht arbeiteten und den ganzen Grund
aufwühlten, sie konnten das Geschmeide nicht finden; es war verschwunden und
blieb verschwunden.
Eines Tages stand die Prinzessin am Strande und sah betrübt vor sich hin, da
plätscherte es im Wasser, und eine große, dicke Schorfkröte kam auf den Sand
gekrochen und glotzte die Prinzessin an und sprach: »Was gibst du mir, wenn ich
dir das Armband wieder schaffe?« – »Ein Goldstück so groß, wie ein Taler!«
antwortete die Königstochter hastig, denn Lieberes konnte ihr auf der ganzen
Welt nicht geschehen, als das Armband wieder zu bekommen; aber die Schorfkröte
sprach: »Für Gold und Silber schaff' ich dir das Geschmeide nicht; doch wenn du
mir drei Wünsche gewährst, tauch' ich es dir aus dem Seegrund herauf.« Sagte
die Prinzessin: »Da muss ich schnell meinen Vater fragen,« und husch war sie im
Schloss und im Zimmer des alten Königs und erzählte ihm den Handel. »Was wird
sich eine alte, dicke Schorfkröte wünschen,« dachte der König, »und am Ende ist
das Armband drei Wünsche wert;« er erlaubte darum seiner Tochter, der
Schorfkröte das Versprechen zu geben. Ei, was war das plumpe Tier froh, als es
die Worte der Königstochter hörte, eins fix drei war es wieder im Wasser, und
noch ein paar Augenblicke, so patschte es aus dem See heraus und trug das Armband
um den Hals gehängt. Die Prinzessin nahm es geschwind ab und fragte nach den
drei Wünschen. »Die fordere ich, wenn es mir passt,« antwortete die Kröte und
kroch in das Wasser; die Königstochter aber lief mit ihrem Armband zum Schlosse
und wusste sich vor Freude gar nicht zu lassen. Die Prinzessin war mittlerweile
achtzehn Jahre alt geworden und hatte die Geschichte mit dem Armband schon ganz
vergessen, da klopfte es eines Tages, als sie gerade mit Vater und Mutter bei
Tische saß, an die Türe. Der Diener lief und machte auf; patsch, patsch kam die
dicke Schorfkröte herein gekrochen und sprach: »Prinzesschen, ich komme heute
um ein Rätselchen. Mein erster Wunsch soll sein, dass ich drei Wochen lang mit
dir an Königs Tisch speise.« – »Daraus wird nichts!« sagte die Prinzessin. »Du
hast mir aber versprochen, dass ich drei Wünsche frei haben solle für das
Armband,« erwiderte die Schorfkröte. Sagte der alte König: »Was versprochen
ist, muss gehalten werden,« und damit war die Sache abgemacht. Der Diener
musste das Tier auf einen Stuhl neben die Prinzessin setzen, vor ihm stand ein
Tellerchen, und die Königstochter legte darauf von allen Speisen, die auf den
Tisch kamen.
Als die drei Wochen vergangen waren, sprach die Schorfkröte: »Jetzt tu
ich den zweiten Wunsch. Du sollst mir jeden Morgen mein Bettchen machen, und
ich will drei Wochen lang im Schlosse schlafen.« – »Nun seht einmal die
närrische Kröte an,« sagte die Prinzessin und wollte davon nichts wissen. Aber
wenn der alte König auch sehr auf das Geld sah, ein rechtschaffenes Herz hatte
er darum doch, und er sprach: »Das hilft nicht; du hast's versprochen, und was
ein Mensch versprochen hat, muss er auch halten, der König und Königskinder
vornehmlich.« So wurde der dicken Schorfkröte auch der zweite Wunsch erfüllt;
sie schlief drei Wochen lang in dem Schlosse, und jeden Morgen machte ihr die
Prinzessin das Bettchen.
Nachdem die Zeit verflossen war, kam die Königstochter in große Sorgen,
was sich das unverschämte Tier zum Dritten wünschen möchte. Und richtig, es war
auch schlimm genug! »Prinzesschen,« sagte die Schorfkröte, »jetzt habe ich noch
einen Wunsch frei, und da wünsche ich mir denn, dass ich drei Wochen lang neben
dir in deinem Bettchen schlafe.« Die Königstochter hatte sich nun zwar schon an
das Tier gewöhnt, auch schien es ihr lange nicht mehr so hässlich und garstig,
wie im Anfang; aber als sie diese Worte hörte, hielt sie sich doch die Ohren zu
und lief zu dem alten König und sprach: »Vater, das dritte kann ich nicht tun.
Das kalte glibbrige, glabbrige Ding will in meinem warmen Bettchen schlafen!«
Der König wusste noch gar nicht, was seine Tochter wollte; als er aber erfuhr,
dass es sich um die dritte Bitte der Kröte handle, sagte er: »Liebes Kind, das
hilft nicht; wer A sagt, muss auch B sagen; du hast das Versprechen gegeben und
musst es auch halten.«
|
"Du hast ein Versprechen gegeben
und musst es auch halten"
|
– »Aber ich lege mein Röckchen
dazwischen,« rief die Prinzessin, und das tat sie auch, damit ihr das Tier ja
nicht zu nahe käme. Auch zählte sie die Tage an ihren zehn Fingern ab, so sehr
sehnte sie sich, dass sie den hässlichen Gast los würde. Als nun die letzte
Nacht vergangen war und der Morgen dämmerte und die Prinzessin sich herum
drehte und eben zugreifen wollte, um die Schorfkröte aus dem Bette zu werfen,
was erblickte sie da? Da war's keine Schorfkröte mehr, sondern ein
wunderschöner Prinz, mit einem goldenen Stern auf der Brust. Der erzählte ihr,
dass er in eine Schorfkröte verwünscht gewesen sei, nun aber habe sie ihn
erlöst, und wenn sie es wolle, würde er sie gern zur Frau nehmen. Das war freilich
etwas anderes, als die garstige Schorfkröte, und sie sagte sogleich ja, und
nachdem sie sich angekleidet hatten, gingen sie zu dem alten König und baten
ihn um seinen Segen. Der ließ noch an demselben Tage Verlobung und Hochzeit
zugleich feiern, und als er starb, wurde der Prinz sein Nachfolger im Reich.
Dort lebte er mit seiner jungen Frau Königin in Glück und in Frieden, und wenn
sie nicht gestorben sind, leben sie heute noch.
Quelle: Ulrich Jahn:
Volksmärchen aus Pommern und Rügen l, Norden/Leipzig 1891,
wird fortgesetzt
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen