Machwerk R.W. Aristoquakes
Teil 10 - 161
Märchenerzähler im Olymp
Nach Doryklos kam eine Muse.
Sie hieß Aristomyomaximus
(Ilias 1/604; 2/ 484, 491, 598, 761; 11/218; 14/508;
Musen sind Töchter von Zeus und wohnen im Olymp,
sie unterhalten die Götter und leiten den Chor der
Sänger)
Und winkte fröhlich nur zum Gruß.
In ihrer pinkfarbenen Bluse
War sie gar lieblich anzusehen.
Sie gab den Seelen zu verstehen
Dass sie von Zeus `ne Tochter wär'.
Sie sprach: "Ich kenne noch so manche Mär
Die ich euch könnte unterbreiten
Um Freude hier euch zu bereiten.
Doch fürs Erste lasst mich nun
Was unser aller Pflicht ist tun.
Und dann begann sie ohn' zu zagen
Ihr erstes Märchen vorzutragen.
Das Froschtöchterchen
Es waren einmal zwei alte Eheleute, die hatten weder Sohn noch Tochter.
Tag und Nacht beteten sie zu Gott, ihnen doch ein Kindchen zu schenken, und
wenn es auch nur ein winziges Fröschlein wäre. Und schließlich erbarmte sich
Gott ihrer, die Frau wurde schwanger, und was gebar sie nach neun Monaten? Ein
Fröschlein! Aber auch darüber freuten sich die Alten - immer noch besser als
nichts! Das Fröschlein kam nur selten ins Haus, meistens saß es im Weinberg, wo
der Alte von früh bis spät arbeitete. Mittags pflegte ihm seine Frau das Essen
zu bringen, aber eines Tages hatte sie dazu keine Kraft mehr. Da hüpfte das
Froschtöchterchen herbei, das inzwischen vierzehn Jahre alt geworden war.
"Mütterchen, es fällt dir sicherlich zu schwer, dem Vater das Essen zu
bringen, lass mich das tun." - "Aber mein liebes Froschtöchterchen,
dazu bist du nicht imstande, du hast doch nicht einmal Hände, um den Topf
festzuhalten!" - "Binde ihn mir getrost auf den Rücken!" -
"Ja, das können wir einmal versuchen!" Die alte Frau nahm den Topf,
stellte ihn dem Froschtöchterchen auf den Rücken, band ihn fest und öffnete das
Tor. In behutsamen Sprüngen hüpfte es davon, kam auch wohlbehalten zum Weinberg
und rief seinen Vater herbei. Der nahm ihm den Essenstopf ab und ließ es sich
schmecken. Das Froschmädchen bat ihn, er möge es auf den Kirschbaum setzen, und
sang ihm mit silberner Stimme ein Liedchen vor. Das klang so unaussprechlich
schön, dass jedem, der es hörte, das Herz im Leibe lachte.
Nun jagte zu dieser Zeit gerade ein Königssohn in den Bergen, der hörte
das süße Lied, ritt zu dem Alten hin und fragte ihn, wer denn da so wundersam
sänge. "Hier ist keiner", antwortete der Alte. "Nur ein Rabe
flog just vorüber." - "Ach, sage mir doch, wer in deinem Weinberg
sitzt und singt!" bat der Königssohn. "Ist es eine Jungfrau, so will
ich um sie freien." Doch der Alte schämte sich seines Froschtöchterchens,
und der Königssohn musste unverrichteter Dinge davon reiten.
Am nächsten Tage brachte das Froschtöchterchen wiederum ihrem alten
Vater das Mittagessen, ließ sich von ihm auf den Kirschbaum setzen und sang
dort ein süßes Lied. Der Königssohn war schon zur Stelle, hoffte er doch, den
wundersamen Gesang noch einmal zu hören. Als das Lied verklungen war, ritt er
zu dem Alten hin und bat ihn erneut, ihm doch zu sagen, wer die Sängerin wäre.
"Hier ist niemand!" beharrte der Alte. "Und wer hat dir das
Essen gebracht?" forschte der Königssohn. "Das habe ich mir selbst
geholt." Doch das glaubte ihm der Königssohn nicht, und er bat den Alten
inständig, ihm doch den Namen der Sängerin zu verraten. "Wenn es eine
Jungfrau ist, will ich um sie freien", sagte er wieder. "Ich würde es
dir ja gern verraten, aber ich schäme mich", gestand der Alte. "Auch
fürchte ich, dass du mir dann zürnen wirst!" - "Sprich nur
ungescheut!"
Und schließlich gestand der Alte dem Königssohn, dass sein
Froschtöchterchen die Sängerin war. "lass es zu uns kommen." Da
hüpfte das Froschtöchterchen vor ihn hin und sang wiederum so süß, dass dem
Königssohn das Herz vor Glück erbebte. "Werde meine Braut!" sagte er.
"Morgen kommen die Bräute meiner älteren Brüder ins schloss, weil mein
Vater, der König, beschlossen hat, dass die Braut, die ihm die schönste Blume
bringt, Königin werden, und derjenige seiner Söhne, der ihr Mann ist, die
Königskrone erhalten soll. Deshalb stell dich ebenfalls im schloss ein und
bring deine Lieblingsblume mit." - "Gut, wenn du darauf bestehst,
dann werde ich kommen. Aber schicke mir einen weißen Hahn, damit ich ins
schloss reiten kann." Der Königssohn ritt heim und schickte auch gleich
einen weißen Hahn zu seiner Braut, die inzwischen zur Sonne gegangen war und
sie gebeten hatte, ihr eines ihrer Kleider zu schenken. Am nächsten Morgen
sattelte die Braut den Hahn, nahm das Kleid der Sonne und ritt zum schloss. Als
sie aber durch das Tor ritt, verwandelte sich der Hahn in einen Schimmel, und
sie selbst wurde zu einer wunderschönen Jungfrau, die mit dem Kleid der Sonne
geschmückt war und eine Weizenähre in der Hand hielt. In dieser Gestalt betrat
sie den Königssaal, und alle, die sich dort versammelt hatten, betrachteten sie
staunend.
Der König aber erhob sich von seinem Thron, ging zur Braut seines
ältesten Sohnes und fragte sie, was für eine Blume sie mitgebracht hätte. Sie
zeigte ihm eine Rose. Die Braut seines zweiten Sohnes wollte ihm eine Nelke
reichen. Und als er sich der Braut seines jüngsten Sohnes zuwandte, sah er,
dass sie eine Weizenähre in der Hand hielt. "Du hast mir die schönste und
nützlichste Blume gebracht", entschied er. "Somit weißt du, dass man
ohne Brot nicht leben kann, und du wirst eine gute Hausfrau sein. Heirate
meinen jüngsten Sohn, ich werde ihm die Königskrone geben."
So kam es, dass das Froschtöchterchen Königin wurde.
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